Dieses Abdriften in eine gewisse Secondlife-Langweiligkeit
sehen Game-Experten in einigen Abschaffungen von einst liebgewonnenen SL-Möglichkeiten.
Vermutlich fehlt in solchen großen Konzernen (wie in der Politik)
die Bürgernähe. Die Entwickler solcher Welten reizen viel lieber
die technischen Neuerungen und optischen Verbesserungen aus, anstatt sich
aktiv und dauerhaft mit dem Vorhandenen auseinanderzusetzen. So hat zum
Beispiel die Übernahme und der Ausbau des heutigen 'Marketplace'
das ist ein praktischer Online-Shop auf der Secondlife-Hompage den
aktiven und kreativen Mitspielern auf der ganzen Welt den Wind aus den Segeln
genommen. Mit der Entstehung und Weiterentwicklung dieses Shops verlor und
verliert Secondlife Jahr für Jahr mehr von seiner Attraktivität.
Unbemerkt von den Linden-Machern:
Wie die Kreativen die Lust an Secondlife verloren...
"Damals, da war es noch toll hier!" sagt ein SL-Bewohner, der
sich im März 2007 bei Secondlife registrierte; nach einer Stern-TV-Sendung,
in welcher Günther Jauch damals diese atemberaubend aufregende neue
Welt den deutschen Fernsehzuschauern vorstellte. Parteien gründeten
Wahlbüros in Secondlife, Reiseveranstalter (unter ihnen auch TUI) gestalteten
exotische Karibikinseln, und der Kölner Dom entstand fast schöner
als im Original. Mercedes-Benz und BMW verfügten über eine eigene
SIM, wo man die neuesten Modelle vorstellte.
Es
gab via Lifestream
Autoren-Lesungen, Konzerte und Events aller Couleur. Secondlife boomte.
Zuweilen waren die virtuellen Inseln und Plätze so mit Avataren überlaufen,
dass man sich kaum mehr bewegen konnte. Die Technik hinkte hinterher. Es
ruckelte und zuckelte beim Gehen und Tanzen, beim Schwimmen oder Fliegen.
Aber es war eine tolle und aufregende Zeit.
Von Beginn an konnte man erkennen, dass drei Hauptgruppen die virtuellen
Secondlife-Welten bewohnten und belebten: Da gab es überwiegend die
'normalen Besucher', die Rollenspiele liebten, neugierig umherschweiften,
Freundschaften knüpften oder als Piraten, moderne Banker, Landverkäufer
oder Ritter ihr Geld in Secondlife ausgaben. Dann gab es die Land- und Kaufhausbesitzer,
die ihr Eigentum gegen Bares vermieteten oder verkauften. Die Währung
dafür war der sogenannte 'Linden-Dollar', den man zum Tageskurs mit
echten Geld kaufen und wieder verkaufen konnte. 1 Dollar entsprach damals
etwa 200 Linden-$. Damit blühte zum ersten Mal in einem Onlinespiel
der Handel. Denn wer Überschüsse erwirtschaftete, konnte sein
'Spielgeld' wieder zurück in Dollars, Euros oder Yens tauschen und
somit in einer virtuellen Welt echtes Geld verdienen.
Und diese Aussicht, sein monatliches Einkommen (meist sogar noch steuerfrei)
spielend in einer virtuellen Welt zu verdienen, ließ die dritte Gruppe
heranwachsen. Die Geschäftsleute und die Kreativen. Zunächst wurde
viel Geld (auch Millionen an Dollars) mit dem Landerwerb und -verkauf gemacht.
Denn jeder, der etwas baute und verkaufen wollte, brauchte etwas Land um
diese Waren zu kreieren und anzubieten. Grundsätzlich kann man mit
den Werkzeugen und Materialien, die SL seinen Mitspielern kostenlos bietet,
alles erdenkliche bauen und kreieren. Vom schöneren Gesicht bis zum
rollenden Panzer, von blondem lockigen Haar bis zum mehrstöckigen Bürogebäude,
Tempel oder Rennauto alles, wirklich alles kann man bauen. Voraussetzung
war allerdings, ein eigenes Stück Land (das man kaufte oder mietete).
Denn jedes auch noch so einfache Objekt, das man baute oder kaufte oder
hinstellen wollte, konnte man nur auf dem eigenen Grund und Boden ablegen.
Nun muss man wissen, dass die enormen Entfaltungsmöglichkeiten, Dinge
entstehen zu lassen, immer wieder Menschen beflügeln, ihre kreativen
Möglichkeiten auszutesten. Besonders in der virtuellen Welt von Second
Life. Hier entstanden nun Burgen und Höhlen, Pferde und Jagdhunde,
Straßenbahnen, Bahnhöfe, Shopping-Centren, Luxuskarossen, Fesselballone
und Flugzeuge, Versage-Fummel und Justin-Biber-Frisuren. Ganze Städte
und Inselparadiese wurden aus dem Nichts gebaut, der Eiffelturm, Alt-Berlin
und... und... Aber: wer mit dem Verkaufen von Waren oder Dienstleistungen
Geld verdienen wollte, der musste erst einmal in Land oder Mietobjekte investieren,
Fast wie im richtigen Leben...
Jeder, der irgendwie kreativ tätig wurde, benötigte also Land.
Ein Parzelle zum Bauen von Objekten, eine Insel für seine Piratenfreunde,
eine Miethaus, um seine in Kartons verpackte Verkaufsangebote zu offerieren.
Wer selbst nicht bauen konnte, kaufte sich was er brauchte. Und so waren
täglich bis zu 60.000 Kunden online unterwegs, um in der virtuellen
Welt echtes Geld auszugeben. Mittels einer von SL eingerichteten Suchoption
konnte man auf seine Waren aufmerksam machen; mit direktem Link (Teleportation)
zum eigenen Laden oder zum Produkt. Überall fielen die Leute vom Himmel,
die auf Einkaufaufstour waren. Shopping, das war das ganz große Ding
zwischen den Jahren 2007 und 2010.
Und wie schon mehrmals erwähnt: nichts ging ohne eigenes Land, das
man mieten (monatlich) oder kaufen konnte. Und wie im wahren Leben, musste
man dort, wo monatliche Mieten fällig wurden auch für Umsatz sorgen.
Die Verkäufer waren also fleißig wie die Ameisen und sie ließen
sich immer neuere, bessere und schönere Artikel einfallen.
Bis Linden die unselige Idee hatte, einen im Internet gut florierenden Online-Shop
aus privater Hand (war auch ein Kreativer, der diese Idee hatte) übernahm
und ausbaute. Da brauchte man nun kein eigenes Land mehr für seine
'Vendoren' (Verkaufskartons), sondern man stellte den Artikel online in
diesen Marktplatz (wo der eigene Laden nichts kostete). Man musste weder
Premium-Mitglied sein, noch irgendwelche Gebühren bezahlen, um dort
seine Produkte anbieten zu können. Secondlife kassierte lediglich an
jedem verkauften Artikel 10% Provision. Fertig. Und damit die Leute auch
kräftig bauen konnten, wurde ihnen auch kostenloses Bauland zu Verfügung
gestellt, wo man nun stundenweise (und ebenfalls gratis) seine Produkte
basteln konnte.
Die Folge war: Die kreativen Premium-Account-Mitglieder (monatlich 9.- Dollar)
wurden praktisch bestraft, da nun jeder landlose Gratis-Teilnehmer kostenlos
Produkte erstellen und anbieten konnte. Nicht nur, dass damit der Immobilienmarkt
einbrach, die Landvermieter auf ihren monatlichen Kosten hängenblieben
und zu Tausenden pleite gingen, auch die stundenlangen Shoppingtouren wurden
nun unnötig. Man kauft heute im Online-Katalog, reist nicht mehr durch
die virtuelle Welt, lernt kaum noch neue Freunde kennen und die Besucher
von Städten und Einkaufszentren landen heute in leeren Geisterstädten.
Trostlos und langweilig.
Die Kreativen wurden immer frustrierter. Denn die Konkurrenz, die keine
monatlichen Kosten hatte, konnte nun ihre Produkte zu Dumpingpreisen anbieten
oder verschenken. Noch heute kann man mit sogenannten 'Freebies' (Gratiswaren)
die teure Konkurrenz killen. Verschenke einige Monate lang das, was andere
für viel Geld anbieten, dann treibst du die anderen in die Pleite und
übernimmst deren Markt (nun mit regulierten Preisen). Dabei könnte
man etwas guter Wille vorausgesetzt das frühere Secondlife-Gefüge
wieder herstellen. Die Shops im heutigen Marketplace dürften nur nicht
für jedermann gratis sein oder nur Premiummitglieder oder Leute mit
nachweisbarem Landbesitz können diesen Shop-Service nutzen. Auch eine
langjährige Mitgliedschaft könnte den Zugang zum Marketplace erleichtern.
Es gäbe zahlreiche Möglichkeiten, durch das Bau- und Verkaufsgewerbe
wieder Leben in die SIMs, den Handel und in die toten Städte zu bekommen.
Solange jedoch die Läden in Secondlife so unnötig wie ein Kropf
sind und jeder Teilnehmer den SL-Marketplace gratis nutzen kann, solange
wird es weiter nach unten gehen. Statt dem Online-Marketplace muss wieder
eine virtuelle Geschäftswelt entstehen. Damit Linden nicht auf seine
Verkaufstantiemen verzichten muss, könnte jeder verkaufte Artikel mit
einer 10%igen Provision oder Gebühr belegt werden. Linden verliert
seine Provisionen nicht, der Online-Shop verschwindet und die Städte
werden wieder belebter, weil es dort Läden und Besucher gibt.
Eine virtuelle Welt lebt von seinen Begegnungen vom Umherstreifen,
Suchen und Entdecken. Der heutige Marketplace ist leider, liebe Lindes
ein tödlicher Begegnungskiller...